Vor meinem inneren Auge läuft ein Film mit Monster-Bildschirmen, die mit ihren spitzigen Klauen kreischende Kinder in ihren riesigen Schlund zerren – auf Nimmerwiedersehen! Das könnte vermutlich eine Szene aus einem Horror-Film sein. Oder geht da nur meine Fantasie mit mir durch? Die Frage ist:

Wie viel Bildschirmzeit verträgt ein Kind unbeschadet?

Unsere Eltern hatten es leicht, da ging es bloss ums Fernsehen! Jetzt stehlen uns Smartphone, Tablet, Computer & Co. Stunde um Stunde.

Als unsere Kinder noch in der Schule waren, wurden Infoabende mit sogenannten Experten angeboten. Wie sie genau abliefen, weiss ich nicht, weil ich nie dabei war. Es kam mir merkwürdig vor, dass es eine Empfehlung zu geben scheint, wieviel Zeit am Bildschirm für die unterschiedlich alten Kinder als akzeptabel gilt.
Und wie lässt sich das dann umsetzen? Das ist doch ein ewiger Kampf zwischen Kind und Eltern, oder nicht? Dann wird das Spiel am Computer als Belohnung eingesetzt. Was wiederum nichts mit der Begegnung auf Augenhöhe zu tun hat.

Bei unseren Kindern haben wir eine begrenzte Zeit festgelegt, während der sie nach dem Mittagessen zum Beispiel eine Sendung schauen oder Brio auf dem IPad spielen dürfen. Zudem gibt es immer wieder Dinge, die am PC unfassbar schnell und ausführlich recherchiert werden können. Schon kamen die nächsten Fragen auf: Was zählt nun alles zur vereinbarten Bildschirmzeit? Ist ein Computerspiel problematischer als eine Anleitung zum Hula-Hoop lernen? Sollte ein „Anna und die wilden Tiere“ einem Bastel-hack vorgezogen werden?

André Stern hat einmal gesagt:
Wenn wir sehen, dass unsere Kinder in die virtuelle Welt abtauchen, weil sie nur dort über ihre Welt bestimmen können, sollten wir dafür sorgen, dass sie sich in der realen Welt – sprich, bei uns – wieder wohler fühlen.

Mit anderen Worten: Wenn unsere Kinder in der realen Welt wenig Vertrauen geniessen und kaum eigenhändig Entscheidungen treffen dürfen, flüchten sie sich in die virtuelle Welt, wo sie ihre eigene Welt bauen und bestimmen, was wie läuft. Aha, klingt einleuchtend.

Aus eigener Beobachtung kann ich berichten, dass Kinder, die über ihr Leben grösstenteils selber bestimmen, ein geringes Bedürfnis haben, in der virtuellen Welt Zeit zu verbringen.

Das ist allerdings bloss eine Seite. Dazu kommt die Vorbildrolle, welche wir natürlicherweise innehalten. Wenn wir Eltern dem Kind, geistesabwesend und mit dem Bildschirm vor dem Kopf begegnen, ist es das, was es auch tun wird. Da ich für Bestellungen und Antworten an Kunden sowie Termine rund um das Familienleben immer wieder das Handy zücke oder den Computer aufklappe, habe ich angefangen zu kommentieren, was ich gerade tue. Zum Beispiel: Ich schreibe kurz Ana, dass ihre Bestellung da ist, dann bin ich wieder bei dir“ oder „lass mich den Sauerrahm erfassen, bevor ich es wieder vergesse“.

Sind Bildschirme nun „Kinderfresser“?
Neulich durfte ich André Stern, Verfechter des freien Spiels, live erleben. Bei der Fragerunde ging es auch um Computerspiele. Die Frage war: Sind denn Computerspiele nun schlimm oder nicht?

André’s Antwort:
Es gibt zwei Dinge, die alle Kinder wollen: Spielen und ein Held sein. Wenn sie diese beiden Bedürfnisse in der realen Welt nicht stillen können, tauchen sie in die virtuelle Welt ein, wo beides unbegrenzt möglich ist.“

Fazit: Gefährlich für unsere Kinder ist nicht der Bildschirm, sondern die reale Welt. Es liegt somit in der Verantwortung von uns Erwachsenen, Eltern, Lehrkräften dafür zu sorgen, dass unsere Kinder so viel wie möglich freispielen können.

Jetzt könntest du ja sagen, dass das nicht geht, weil dein Kind in die Volksschule geht. André hatte auch für diese Spezies eine klare Botschaft: Es geht nicht um die Bedingungen, in denen du lebst, sondern um deine Haltung. Ups, es gibt keine Ausrede mehr, nicht einfach mal bei sich selber anzufangen!

Apropos Haltung ein Beispiel: Wenn dein Kind das Spiel unterbrechen muss, weil ihr einen Termin wahrnehmen müsst, kannst du mit ihm reden und dafür sorgen, dass es nach dem Termin/Schule/Unterricht sein Spiel genau dort fortführen kann, wo es aufgehört hat. Damit zeigst du dem Kind, dass dein Vorhaben und sein Vorhaben gleichwertig sind. Auch ganz wichtig beim Spiel des Lebens: Alles ist gleichwertig andersartig. Aber dazu mehr in einem anderen Blog…

Auf André Stern’s Webseite findest du seine Bücher, aktuelle Kurse und Informationen zu Filmen oder Anlässen mit ihm.