Wir Menschen werden, wie man uns sieht.

André Stern begleitet mich schon seit vielen Jahren. Lange bevor unser ältester Sohn in’s Kindergartenalter kam, habe ich sein Buch „…und ich war nie in der Schule“ gelesen. Seine Schilderungen im Buch und auch in Interviews (insbesondere bei Aeschbacher im Februar 2011) sind Offenbarungen für mich, seine Eltern wahre Vorbilder.

Als ich vor kurzem wieder einmal ein Interview mit ihm und Gerald Hüther hörte, wurde ich auf André’s neues Buch „Reise in das unbekannte Land des Vertrauens“ aufmerksam. Was für eine wunderbare Ferienlektüre!

Seit ich Mutter bin, lerne ich mit Abstand am meisten von unseren Kindern. Manchmal fällt es mir leichter, ihre fadengeraden und messerscharfen Beobachtungen anzunehmen. Oft hadere ich auch echt mit all den Glaubenssätzen und Schubladen, die sich da bei mir immer wieder öffnen. Nach so vielen Blicken in den Spiegel kommen nach wie vor Dogmen zum Vorschein, die ich irgendwann verinnerlicht habe.

Bestätigt und ertappt
Beim Lesen dieses Buches habe ich gefühlt ständig genickt. Wie einfach und glücklich unsere Leben doch wären, wenn wir alle auf Augenhöhe miteinander umgingen, ohne Hierarchie und Bewertungen! Auch mit sich selber. Mindestens so oft wie ich mich beim Lesen bestätigt gefühlt habe, fühlte ich mich ertappt!

Zum Beispiel, als folgende Situation beschrieben wird: Ein Bub erzählt einer Frau, die sich dafür interessiert, von einer wissenschaftlichen Zeitschrift. „Stellen sie sich vor“, sagt er begeistert, „zwischen den Erdjahren 1993 und 2014 haben sie eine Folge pro Woche veröffentlicht!“
Beinahe reflexartig antwortete die Frau mit eigener Frage, die charakteristisch ist für die Haltung von Erwachsenen; „Wirklich? Und sag mal, wie viele Jahre sind das?“
Ohne sich dessen bewusst zu werden, versetzt sie sich durch diese gesellschaftliche Gewohnheit in die Überlegenheitsposition derer, die „wissen“ und stellt das Kind auf die Probe.
Würde das Kind zu diesem Zeitpunkt an der Rechnung interessiert sein, hätte es sie schon längst ausgerechnet! Abgesehen davon, dass diese Frage die meisten Kinder verunsichert, lenkt es vom Fluss seiner Überlegungen ab.
Au weiah – wieviele Male habe ich das schon bei unseren Kindern gemacht…

Was ich zudem aus dem Buch mitnehme ist, zukünftig zu sagen, dass ich keinen Grund habe, mich für höhere Mathematik zu interessieren anstatt „ich war nie gut in Mathematik“. Und umgekehrt „Sprachen interessieren mich“ anstatt „ich bin gut in Sprachen“. Es hat nämlich nicht mit Intelligenz oder Fleiss und Pflichtbewusstsein zu tun respektive mit Faulheit und Dummheit. Entscheidend ist, ob die Materie im Moment wichtig für mich und mein Leben ist. Wenn sie für meine Berufung nicht nötig ist, werde ich es mir nur mit auswendig lernen und grosser Mühe für einige Zeit eintrichtern können.

Herzerwärmend und inspirierend finde ich Kapitel 37. Es beschreibt einen Spaziergang mit einem kleinen Jungen, der die Müllmänner zu Helden macht, mit seinen strahlenden Augen die Herzen zweier Polizisten gewinnt, durch seine natürliche Anteilnahme eine Fensterputzerin verzaubert, einen Bauführer beeindruckt und das verletzte Kind in einem Pizzaiolo durch seine ehrliche Bewunderung heilte.

Was für ein freudvoller Ort wäre die Erde, wenn wir alle wertefrei, in gegenseitigem Vertrauen leben würden!

Mein Fazit:
Es liegt an mir, weiterhin meine Schubladen der Wertungen und gesellschaftlichen Dogmen zu öffnen und zu räumen. Veränderung beginnt jetzt und bei mir. Je mehr bedingungsloses Vertrauen, Liebe und Grosszügigkeit ich gebe, desto mehr kommt zurück.

Hier geht’s zu André Stern’s Webseite